Auf Kirchenbänke folgten Wandtafeln
Es sind nur wenige Wörter, zu lesen auf einer Tafel, die an der Fassade eines Hauses an der Kehlhofstrasse prangt. Doch hinter dem Angebot zur Miete von gewerblichen Räumlichkeiten steht die 159-jährige Geschichte eines Betriebs, der seit fünf Generationen von derselben Familie geführt wurde und zum Ortsbild gehörte wie Kirche und Schulhaus. Aussergewöhnlich war nicht nur die lange Tradition, sondern auch die Palette der hergestellten Produkte. Den Anfang machten einst Kirchenbänke, es folgten Schulmöbel, bis sich das Schwergewicht vor einem Vierteljahrhundert zu Wandtafeln hin verlagerte. Sie generierten zuletzt den weitaus grössten Teil des Umsatzes und waren das wichtigste wirtschaftliche Standbein der Firma. Jedes Jahr stellte sie 70 bis 80 Tafeln in unterschiedlichsten Dimensionen her.
Wandtafel wird interaktiv
Adrian Heer gehört einer Generation an, die das Schreiben in der Schule noch auf einer kleinen, handlichen Tafel unter Zuhilfenahme einer weissen Kreide gelernt hat. Längst ist das nicht mehr so. Heute wird mit Tablets gearbeitet, und auch die grossen Wandtafeln in den Klassenzimmern sind mit ihren Vorgängermodellen nur noch bedingt vergleichbar. «Der erste grosse Fortschritt bestand darin, dass es möglich wurde, an der Tafel mit Magneten zu arbeiten», erklärt Heer. Neuester Trend sei die interaktive Wandtafel, während der einst hochgelobte Hellraum-projektor praktisch in der Versenkung verschwunden sei.
Die klassische Wandtafel findet laut Heer nur noch in Berner Schulen Verwendung. Und in osteuropäischen Ländern, wo aufgrund der seit zwei Jahrzehnten bestehenden Zusammenarbeit der Firma Heer mit der christlichen Hilfs-organisation Pro Schule Ost jene Wandtafeln zum Einsatz kommen, die hierzulande nicht mehr gebraucht wurden, aber noch intakt sind.
Von der Betriebsschliessung ist deshalb auch das Hilfswerk mit Sitz in Winden betroffen. Hans Jörg Länzlinger bedauert das, denn von diesem Deal hätten alle Beteiligten profitiert. «Wir können den Ausfall kompensieren, werden die alten Wandtafeln künftig aber selbst in den Schulhäusern abholen müssen. Das hat früher die Firma Heer für uns erledigt», sagt der Präsident des Vereins Pro Schule Ost. Länzlinger erinnert sich mit Wehmut an die unbürokratische Kooperation mit dem Märstetter Unternehmen, das die aussortierten Wandtafeln dem Hilfswerk jeweils kostenlos zur Verfügung gestellt hat.
Keine Nachfolge gefunden
«Am wichtigsten war mir die Kundenzufriedenheit», sagt Heer. Erreicht worden sei diese durch Termingenauigkeit und eine hohe Qualität der Produkte. Heer befasste sich als Geschäftsführer viele Jahre intensiv mit der Frage, wie es nach seiner Pensionierung mit der Firma weitergehen soll. Kaufinteressenten gab es, doch entsprachen die Konditionen nicht Heers Vorstellungen, und die ins Auge gefasste Übernahme durch einen Mitarbeiter zerschlug sich.
Auch der naheliegende Schritt in Form einer familieninternen Lösung liess sich nicht verwirklichen. Heer ist Vater von zwei Töchtern, die in anderen Branchen tätig sind, und einen männlichen Nachkommen hat er nicht. Heute teilt der gelernte Schreiner das Schicksal mit anderen Firmeninhabern, die in Ermangelung eines geeigneten Nachfolgers einen definitiven Schlussstrich ziehen müssen. Eine Welt bricht für Heer deswegen nicht zusammen.
Schliessung akzeptiert
«Ich bin Realist. Wenn ich merke, dass etwas nicht möglich ist, akzeptiere ich das. Ich hätte auch einen Sohn nicht überredet, meinen Platz im Betrieb einzunehmen, wenn er das nicht will», sagt Heer. Das sprichwörtliche weinende und das ebenso gern zitierte lachende Auge sucht man beim 64-Jährigen vergeblich. Es gebe höchstens ein «leicht feuchtes Auge», verrät Heer. Er ist in der glücklichen Lage ist, der jüngsten Entwicklung auch positive Seiten abgewinnen zu können. Er freut sich, wieder mehr Zeit für seine Hobbys zu haben. An solchen mangelt es nicht: Heer ist passionierter Motorradfahrer, übt den Schiesssport aus, besitzt ein kleines Motorboot und kümmert sich mit Hingabe um das vierbeinige Familienmitglied, einen zweijährigen Parson Russell Terrier.
Auf Kirchenbänke folgten Wandtafeln