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Apostelin oder Hausfrau?

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17.11.2021
Mirjam Schneider aus Therwil BL gewann mit ihrer Maturarbeit den Theologiepreis der Universität Basel. Sie untersucht die Rolle der Martha in der Bibel aus feministischer Sicht.

Neben Jesus’ Mutter Maria und Maria Magdalena gehören Martha und Maria wohl zu den bekanntesten Frauenfiguren aus der Bibel. Die ungleichen Schwestern waren mit Jesus befreundet und er besuchte sie etliche Male. Die meisten kennen die beiden als Martha, die Dienende, und als Maria, die Untätige. Als Martha sich bei Jesus darüber beklagt, dass die Schwester ihr bei der Bewirtung der Gäste nicht hilft, lobt Jesus Maria dafür, dass sie sich lieber zu ihm setzt und ihm zuhört, anstatt zu arbeiten.

Diese Rollenverteilung hat sich in den Köpfen von Generationen Sonntagsschülerinnen und Sonntagsschülern festgesetzt. Doch stimmt sie auch? Dieser Frage ging Mirjam Schneider in ihrer Maturarbeit nach. Am Gymnasium Oberwil BL hatte sie sich für den Schwerpunkt Latein entschieden. Für sie sei klar gewesen, dass sie zum Schulabschluss ein Thema behandelt aus der Zeit, in der die Texte des Neuen Testaments entstanden.

Wissenschaftliche Neugierde
Für die Maturarbeit mit dem Titel «Ist die biblische Martha eine gleichgestellte Apostelin oder eine Hausfrau?» erhielt sie von der Theologischen Fakultät der Universität Basel den Theologiepreis 2021. «Die Jury attestiert der Preisträgerin ein grosses Mass an wissenschaftlicher Neugierde, eine beachtliche Verarbeitung von Literatur und ein hervorragendes Gespür für relevante Fragestellungen», heisst es in der Begründung.

Mirjam Schneider analysiert Bibelstellen im historischen Kontext mit dem Ziel, eine feministische Sichtweise auf die Figur der Martha zu stärken. Sie vergleicht die Stellen im Lukas- und Johannesevangelium, die vom Besuch von Jesus bei den Schwestern erzählen. Das Thema wählte sie aus einer persönlichen Motivation heraus. Schneider ist seit langem als Ministrantin und seit kurzem auch als Lektorin und Kommunionhelferin in der Pfarrei St. Stephan in Therwil engagiert. Im Rahmen der Kirchenrenovation wurde im Inneren ein Kunstwerk angebracht, das acht Frauen aus dem frühen Christentum zeigt, die an einem Tisch sitzen und sich unterhalten, unter ihnen Martha.

Martha: selbstbewusst und stark
Als Katholikin beschäftigt Mirjam Schneider die Ämterfrage, dass praktizierende Theologinnen nicht ordiniert werden können und sich mit einer untergeordneten Rolle in der Messfeier und der Erteilung der Sakramente zufriedengeben müssen. Das Bild mit den acht Frauen hat sie dazu inspiriert, «die bestehende Struktur der katholischen Kirche und mein eigenes Rollenverständnis als Frau zu hinterfragen». «Die Auseinandersetzung mit Martha könnte der Stärkung heutiger Theologinnen dienen. In Martha sehen sie eine Frau, die selbstbewusst und stark für ihre Belange eintritt», schreibt Mirjam Schneider im Vorwort zu ihrer Arbeit.

Die Verfasserin arbeitet die Forschung auf und zeigt, dass Martha im Johannesevangelium eine bedeutendere Rolle spielt als im Lukasevangelium und auch eine andere Funktion hat. «Stellt man sich das als Film vor», sagt Mirjam Schneider, «wäre die Lukaserzählung ein Kurzfilm und diejenige bei Johannes ein emotionaler Spielfilm.» Kurz zusammengefasst könne man bei Lukas «das ideale Frauenbild als das einer schweigsamen und wenig aktiven Mitgläubigen» verstehen. Während bei Johannes – für diese Zeit aussergewöhnlich – «Frau und Mann als gleichberechtigte Gläubige und Dialogpartner von Jesus» erscheinen. So etwa, wenn Martha sich zu Jesus bekennt und ihm gegenüber ein Glaubensbekenntnis ablegt.

Luthers Interpretation wirkt nach
Die Darstellung der Schwestern bei Lukas wird in der heutigen Bibelforschung auch so interpretiert, dass ihre beiden Charaktere beispielhaft für unterschiedliche Arten stehen, sich Jesus und seinen Lehren zuzuwenden – aktiv wie die dienende Martha oder nachdenklich wie die zuhörende Maria. Lange Zeit wurde die Bibelstelle jedoch anders verstanden. So übersetzte Luther Jesus’ Worte: «Martha, dein Werk muss bestraft werden und für nichts geachtet werden. Ich will kein Werk haben, denn das Werk Marias, das ist der Glaube, dass du glaubst an das Wort.»

«Ich hätte gerne Luthers Rolle, was den Einfluss seiner Wahrnehmung von Martha angeht, noch weiter ausgeführt», sagt Mirjam Schneider, «doch das hätte den Rahmen der Arbeit gesprengt.» Sie kann sich vorstellen, dass die Bedeutung von Luthers Bibelübersetzung und ihre Verbreitung durch den Buchdruck dazu beigetragen haben, dass sein Verständnis das Bild von Martha in Deutschland und Europa entscheidend geprägt hat.

Ob Martha eine Apostelin war, bleibt am Ende offen, dass sie jedoch mehr als Hausfrau war, nämlich als Gastgeberin auch alleinige Hausherrin – ein Mann wird bei Lukas nicht erwähnt –, wird in Mirjam Schneiders Maturarbeit deutlich.

Viele feministische Bücher
Über die Auszeichnung der Theologischen Fakultät und die damit verbundene Anerkennung ihrer Arbeit hat sich Mirjam Schneider sehr gefreut. Von den 500 Franken Preisgeld will sie sich viele feministische Bücher kaufen, die sie sich als Schülerin nicht leisten konnte, nicht nur zur Theologie: «Feministische Themen bewegen mich, sie haben eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung, und ich möchte mich über aktuelle politische Fragen informieren.»

Zurzeit absolviert Mirjam Schneider ein Vorpraktikum für die Fachhochschule in der Rehabilitierung. Sie hat sich zu einer Ausbildung als Ergotherapeutin entschlossen, ein praktischer, vielseitiger und spannender Beruf, findet sie. Auch ein Theologiestudium hat sie sich überlegt. Das wäre dann aber allenfalls etwas für später, meint sie.

Karin Müller, kirchenbote-online

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