News aus dem Thurgau

Ein Zuhause auf unbestimmte Zeit

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21.04.2022
Die Ukrainerin Oksana Kusmina hat mit ihrer Tochter Mariam Zuflucht im Gachnanger Pfarrhaus gefunden. Pfarrerin Sabine Schüz und ihr Ehemann Mathias erleben eine überwältigende Hilfsbereitschaft.

Seit drei Wochen leben die Ukrainerin Oksana Kusmina und ihre vierzehnjährige Tochter Mariam beim Ehepaar Schüz im Pfarrhaus von Gachnang. Sie wagten die Flucht am 4. März aus der überfallenen Stadt Charkiw in der Ostukraine. «Neun Tage sassen wir in einem Keller. Wir hörten ständig die Explosionen in der Nähe», berichtet Kusmina. Einfach so abreisen war da jedoch schon nicht mehr möglich. Zu gross war die Gefahr, auf offener Strasse erschossen zu werden. Mit Hilfe eines privaten Taxifahrers schafften Mutter und Tochter schliesslich die Flucht aus der zerbombten Stadt. Für Kusmina ist es bereits das zweite Mal, dass sie Hab und Gut zurücklassen musste. Schon 2014 floh sie während der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland aus dem Donbass- Gebiet. Die Flucht dauerte diesmal rund zehn Tage, bis Mutter und Tochter Kusmina in Gachnang vorerst ein neues Zuhause fanden. «Die Erleichterung, als wir die Grenze zu Polen passierten, war sehr gross», berichtet sie von ihren Strapazen. Auch der Glaube gab der alleinerziehenden Mutter während der schwierigen Zeit Kraft. «Anders wäre es nicht gegangen. Als wir im Keller sassen, haben wir alle unsere Ikonen nebeneinandergestellt und gebetet. Unsere Ikonen haben wir auch während unserer Flucht immer bei uns getragen. Sie haben uns beschützt», sagt Kusmina.

Vom Klavier an die Computertastatur
Oksana Kusmina ist Pianistin. Zuhause arbeitete sie als Musiklehrerin. In der Schweiz ist sie aufgrund ihrer Deutschkenntnisse plötzlich zur Schnittstelle zwischen Behörden und geflüchteten Personen aus der Ukraine geworden. Sie hilft ihnen, Formulare auszufüllen und assistiert beim Integrationsunterricht in der Primarschule. «Daheim sass ich am Klavier, hier muss ich einen Computer bedienen», sagt Kusmina und ist selbst erstaunt über ihre plötzliche Lebenswende. Obwohl der Krieg in der Ukraine nun schon seit über zwei Monaten andauert, erreichen viele der geflüchteten Menschen erst jetzt die Schweiz. «Die Menschen, die kommen, benötigen sofort Unterstützung », berichtet Schüz aus ihrer Erfahrung in der Kirchgemeinde. Auch die seelsorgerliche Betreuung der Geflüchteten tut Not. «Gerade jetzt, wo es so viel zu organisieren gibt, ist es wichtig, Zeit und ein offenes Ohr für die uns anvertrauten Menschen zu haben. Sie haben Schreckliches erlebt und buchstäblich alles verloren.»

Engagement allerorten
«Überall höre ich in der Gemeinde von Privatpersonen, die gestrandete Menschen bei sich aufnehmen. Auch die Behörden handeln unbürokratisch und ziehen an einem Strang.» Die Pfarrerin ist zutiefst beeindruckt, wie engagiert und schnell Asylzentrum, politische Gemeinde, Musikschule und Schulbehörde Hilfe leisten. So konnte für die musikbegabte Tochter Mariam schon Klavierunterricht in der Musikschule Weinfelden organisiert werden. Mit Blick auf ihre Schützlinge betont Schüz: «Es ist ein Geben und Nehmen.» Mariam erfüllt mit ihrem Klavierspiel das Pfarrhaus mit Leben und Oksana, Meisterin in der Zubereitung der traditionellen Borschtsch- Suppe, hat sich indes in der Küche ihren Platz gesichert. Die Zukunft ist für beide jedoch ungewiss: «Ob wir kurz oder lange bleiben werden, können wir nicht wissen», so Kusmina. «Hier ist es auf jeden Fall wie in einem Paradies. Wir hoffen, dass wir auch etwas an die vielen hilfsbereiten Menschen zurückgeben können.»

Auf der Plattform kirchen-helfen.ch können Kirchgemeinden und Private ihre Hilfe anbieten.

 

(Emil Keller)

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