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Der Kirchenbund wird 100 Jahre alt

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08.09.2020
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund wurde am 7. September 1920 in Olten gegründet. Ziel war es, dass die Reformierten geeinter nach aussen auftreten und sich am Wiederaufbau Europas beteiligen. Nur, das Jubiläum fiel in diesem Jahr aus.

2020 hätte so schön werden können: An der ersten Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz hätten die Delegierten das 100-Jahr-Jubiläum des Kirchenbundes in Bern gefeiert. So war es geplant, doch der Weisswein blieb ungeöffnet: Die Schlagzeilen zum Rücktritt von Präsident Gottfried Locher überschatteten das Jubiläum. Und Corona bedeutete das endgültige Aus für den Anlass. Der Rat verschob die Feierlichkeiten aufs nächste Jahr, in die Diaspora im Kanton Wallis.

So nahm kaum jemand davon Notiz, dass vor einem Jahrhundert der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK gegründet wurde. Der Kirchenbund löste die Evangelische Kirchenkonferenz ab, die seit 1858 bestand.

Ökumenische Bewegung stärken
32 Abgeordnete aus 15 reformierten Kantonalkirchen und zwei Diasporaverbänden tagten erstmals am 7. September im Stadthaus in Olten. Die Delegierten verfolgten zwei Ziele: Die Reformierten in der Schweiz sollten gemeinsam gestärkt auftreten und handeln, so wie dies die Katholiken seit Ende des 19. Jahrhunderts taten. Und die reformierte Kirche wollte sich an der ökumenischen Bewegung und dem Wiederaufbau Europas nach dem 1. Weltkrieg beteiligen. Diese Ziele wurden mit dem Beitritt zum Reformierten Weltbund (1925), zum Ökumenischen Rat der Kirchen (1940) und mit der Gründung des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz Heks (1946) sowie von «Brot für alle» (1963) erreicht.

Offenheit und soziales Engagement
Eine prägende Figur der ersten Stunde war der Ökumeniker Adolf Keller (1872 bis 1963). Bereits als Theologiestudent ärgerte er sich, dass die Theologie in die orthodoxe und die liberale Richtung auseinanderfiel, schreibt die Historikerin Marianne Jehle-Wildberger. Die Zersplitterung des Protestantismus in der Schweiz war für ihn ein Ärgernis. Beim Besuch der USA lernte er 1919 den «Federal Council of the Churches of Christ» kennen. Zurück in der Schweiz warb er für die Gründung eines Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. 1920 wurde Adolf Keller dessen erster Sekretär.

Sympathien für Leonhard Ragaz
Keller, der Sympathien für die Religiössozialen um Leonhard Ragaz hegte, prägte für die nächsten zwanzig Jahre den SEK: Offenheit gegenüber anderen Konfessionen und Religionen, soziales Engagement für die Notleidenden der Weltkriege, politisches Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit. So engagierte sich der SEK für die Einführung der AHV und für die Gründung einer Sozialen Kommission, in der neben Theologen auch Vertreter aus Wirtschaft, Recht und Politik sassen.

Sein Vater sei ein Brückenbauer gewesen, erinnert sich Sohn Pierre Keller. «Er hat viel zu den guten Beziehungen zwischen den USA und Europa im Bereich der Religion beigetragen und war dabei nicht ‘Wischi-Waschi’. Er war überzeugt, dass es ein solides Fundament für die Beziehungen zwischen den Kirchen braucht und dass sich das Christentum in der Praxis niederschlagen sollte.»

Kirchendiplomatie
Der Vorstand des Kirchenbunds, heute Evangelisch-reformierte Kirche, folgt dieser Linie. Seit 1971 mit einem vollamtlichen Präsidium. Als Nachfolger des Baslers Walter Sigrist und des Genfers Jean-Pierre Jornod versah der Zürcher Heinrich Rusterholz dieses Amt von 1987 bis 1998.

Die ökumenischen Kontakte in der Schweiz wurden während seiner Amtszeit weiterhin sorgsam gepflegt, erzählt Heinrich Rusterholz: in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz AGCK, bei den regelmässigen Treffen mit der Bischofskonferenz und seit 1966 in der gemeinsamen Gesprächskommission mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund.

Versöhnungsarbeit
Der Kirchenbund engagierte sich besonders in der Konferenz Europäischer Kirchen und der heutigen Gemeinschaft Evangelischer Kirchen, früher Leuenberg. Er verstärkte die Kontakte zu den Nachbarkirchen, und die Abgeordnetenversammlung beschloss neue bilaterale Vereinbarungen mit den protestantischen Kirchen in Korea, China, Taiwan und den Philippinen. «Das Bewusstsein, Teil der weltweiten Kirche Christi zu sein, ist durch solche Begegnungen - im Verbund mit den eigenen Werken Heks, Bfa und den Missionen - gewachsen», stellt Heinrich Rusterholz fest.

Als Bereicherung der weltweiten Kontakte zählt Rusterholz den Besuch der AGCK im Vatikan und die Reise nach Israel mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund und der Bischofskonferenz, mit Kontakten «in allen Lagern», so Rusterholz, sowie weitere Begegnungen in Jordanien, Israel, Gaza und Ägypten.

Diplomatische Zurückhaltung
Der Kirchenbund agierte oft im Hintergrund. «Einzelne Initiativen erforderten diplomatische Zurückhaltung», erklärt Rusterholz, besonders die erste vertrauliche Begegnung des Präsidenten des China Christian Council, Bischof Ting, mit dem Generalsekretär der Reformierten Kirche in Taiwan. Die beiden feierten einige Monate später offiziell ihre persönliche Versöhnung vor der Vollversammlung des ÖRK 1991 in Canberra. Von wenig Erfolg gekrönt war die Bitte des Kirchenbunds an den Metropoliten der Serbisch-Orthodoxen Kirche während des Balkankriegs, die serbischen und russischen Kriegstreiber doch nicht vor der Fernsehkamera zu segnen.

Kontakt zum Bund pflegen
Der Kirchenbund hat den Auftrag, den Kontakt mit den Bundesbehörden zu pflegen. «Wertvoll war die Möglichkeit vor allem im EDA unsere kirchlichen Erfahrungen im Bereich Menschenrechte, Religionsfreiheit und Orthodoxie einzubringen», erinnert sich Rusterholz. «Für uns war es selbstverständlich, zu den Kontakten zu stehen, nicht aber Inhalte detailliert bekannt zu machen, um sie nicht zu gefährden.»

Die Weiterentwicklung der Struktur des SEK verlief hingegen harzig. Sie nährte all die Jahre den Verdacht, dass der Kirchenbund nach Macht strebe. Ab 1999 wurden Reformen eher möglich, so dass sich der Kirchenbund zur Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz entwickelte. Sie biete künftig, und wenn dringend gebraucht, ein «gutes Gefäss», um finanzschwachen Kirchen beizustehen, sagt Heinrich Rusterholz.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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