News aus dem Thurgau

Diakonie heisst erkennen und handeln

min
24.01.2020
Einer der drei Preisträger des Prix Diakonie ist das christliche Kinder- und Jugendprojekt Arche in Kreuzlingen. Es steht allen Kindern offen und will diese mit verschiedenen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Gewonnen haben zudem das Bistro «Zur alten Kaplanei» in Frauenfeld und das «Café Grüezi» in Aadorf.

Die Arche Kreuzlingen, das merkt man als Besucher ziemlich schnell, ist ein warmherziger Ort mit Wohlfühlcharakter. Die Kinder wirken entspannt, die Atmosphäre zwischen ihnen und den Mitarbeitern ist locker und authentisch. In erster Linie ist die Arche, die sich im Gemeindegebäude der evangelischen Freikirche Chrischona befindet, ein Treffpunkt für Kinder von 4 bis 17 Jahren. Hier finden sie nachmittags eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, können nach ihrem eigenen Gusto entweder in einer gemütlichen Nische diverse Brettspiele ausprobieren oder sich im grossen Gemeinschaftssaal im Tischtennis, Air-Hockey oder am Töggelikasten messen. Das Projekt, das hauptsächlich aus Spenden finanziert wird, bietet aber noch mehr als das – Angebote wie den Mittagstisch oder die betreute Hausaufgabenhilfe beispielsweise, für die ein Raum mit zehn Arbeitsplätzen zur Verfügung steht. Im Kreativatelier dürfen sich die Kinder künstlerisch austoben, im Computerraum für eine bestimmte Zeit altersgerechte Filme oder Sendungen schauen und auch Basteln sowie Lego-Technik-Bauen ist möglich.

Entscheidende Begegnung
Ein Kind, dass vor rund zehn Jahren mit seinem Mittagessen alleine auf der Treppe vor dem Chrischona-Gemeindegebäude sass, war für Gesamtleiter Mathias Wegmüller die Initialzündung für die Gründung der Arche. Das Kind erzählte dem damaligen Chrischona-Jugenddiakon, dass seine Mutter mittags nicht zuhause sei und es nirgendwo sonst hinkönne. Von dieser Begegnung betroffen, stellte er sich die Frage, wie vielen Kindern in Kreuzlingen es so ergehe. Mathias Wegmüller wollte es genau wissen und erkundigte sich in den Schulen des Quartiers nach den Bedürfnissen der Kinder. Dabei kam heraus, dass sich knapp die Hälfte der Schülerinnen und Schüler Hilfe bei den Hausaufgaben wünschte und einen Platz, an dem sie sich am Nachmittag aufhalten und beschäftigen konnten. «Mich hat es erstmal mitgenommen, zu erfahren, dass die Problematik Kinderarmut auch in der Schweiz existiert. Ich wollte aber nicht in der Frustration steckenbleiben, sondern etwas unternehmen», erklärt Mathias Wegmüller. Vom Buch von Bernd Siggelkow inspiriert, dem Gründer des Arche-Projekts in Deutschland, passte er die Grundidee den hiesigen Bedürfnissen an und öffnete das Chrischona-Gemeindegebäude zu Beginn erstmal nur am Mittwochnachmittag für 20 bis 30 Kinder. Nach einer sechsmonatigen Probephase wurde dann der gemeinnützige Verein «Kidsprojekt Kreuzlingen» mit zwei Mitarbeitern gegründet und das Projekt auf eigene Beine gestellt.

Bedürfnisse wahrnehmen
Seitdem stehen die Räume, die sich auf zwei Etagen verteilen, jeden Nachmittag für die Kinder offen. Und die Arche ist stetig gewachsen, die Strukturen wurden professionalisiert und Sozialpädagogen angestellt. «Weil wir sehr stark auf der Beziehungsebene arbeiten, wurde ein Kern aus Personen wichtig, die immer vor Ort sind und den Kindern die Stabilität geben, die sie vielleicht zuhause nicht erfahren», erklärt Wegmüller. Seit zweieinhalb Jahren gibt es den Teenie-Bereich, einen Rückzugsort für Jugendliche ab 12 Jahren, der für diese auch am Abend geöffnet ist und mit einer eigenen kleinen Küche, Computern sowie einem Billardtisch ausgerüstet ist. Zusätzlich werden die Jugendlichen, die sich auf Jobsuche befinden, durch das Lehrstellen-Coaching von den Arche-Mitarbeitern beim Erstellen eines Bewerbungsdossiers unterstützt und auf Vorstellungsgespräche vorbereitet. Alle Angebote seien aus bestimmten Bedürfnisabklärungen erwachsen, sagt Mathias Wegmüller. Als die bestehende Sprachspielgruppe in Kreuzlingen zuging, sprang die Arche ein und gründete eine neue. Kinder ab drei Jahren, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, können hier an zwei Vormittagen pro Woche spielerisch die Sprache lernen. Auch das Deutschkaffee, das jeweils am Dienstagmorgen für zwei Stunden vor allem für fremdsprachige Frauen geöffnet ist, bietet diesen die Möglichkeit, niederschwellig Deutsch zu lernen sowie soziale Kontakte zu pflegen.

Einfacher Zugang
Heute beschäftigt das Projekt sieben Angestellte und zwei Praktikanten in Voll- und Teilzeitpensen. Unterstützt werden sie von einigen ehrenamtlichen Mitarbeitern, die an bestimmten Tagen anwesend sind. «Das gibt uns die Freiheit, uns auch einmal mit einem einzelnen Kind zu beschäftigen», so Wegmüller. Täglich besuchen zwischen 50 bis 80 Kinder die Arche. Einige der Kinder sind mehrmals in der Woche hier, andere nur an bestimmten Tagen, rund 200 Kinder nehmen die Arche regelmässig in Anspruch. Einige der Arche-Kinder kommen aus sozial schwierigen Verhältnissen. Aus finanziellen Gründen hätten sie oft keinen Zugang zu Angeboten und nicht die Unterstützung, die sie benötigen würden. «Wir versuchen deshalb, den Zugang zu uns so einfach wie möglich zu machen. Bei uns sind alle Angebote gratis, ausser der Spielgruppe und dem Mittagstisch. Für das Essen zahlen die Kinder 7 Franken», so Wegmüller. Doch nicht jedes Kind, dass in die Arche kommt, ist von Armut betroffen. Einige der Eltern hätten schlichtweg keine Kapazitäten, ihre Kinder tagsüber zu betreuen oder seien aus unterschiedlichen Gründen überfordert.

Kirchliche Verantwortung
Mit einigen seiner ehemaligen Schützlinge hat Mathias Wegmüller bis heute Kontakt. «Es ist schön, zu sehen, wie manche von ihnen mit beiden Beinen im Leben angekommen sind. Wir wollen jedem Kind eine Chance geben und vermitteln ihnen, dass wir an sie glauben». Den Prix Diakonie zu bekommen, sei für ihn eine Wertschätzung und eine Wahrnehmung ihres Engagements.«Ich verstehe unter Diakonie, dass man eine Not erkennt und etwas verändert. Gerade die Kirchen sind dabei herausgefordert zu beobachten, was um sie herum geschieht und wie es den Menschen geht».

Prix Diakonie Nr. 2
Ein weiteres Projekt, das mit dem Prix Diakonie geehrt wurde, ist das Bistro «Zur alten Kaplanei» in Frauenfeld. Es bietet Menschen, die aus dem ersten Arbeitsmarkt gefallen sind, eine sinnvolle Tätigkeit in Küche, Service, Garten und Wäscherei. Sie können dort wieder eine Tagesstruktur einüben, zum Beispiel nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie. Darüber hinaus ist das Bistro inmitten der Frauenfelder Innenstadt ein Ort der Begegnung für Jung und Alt. Und schliesslich bietet es in seinem Gewölbekeller eine Bühne für Kleinkunst.

Schwerpunkt des Projektes ist die Arbeitsintegration. Drei Festangestellte mit Teilpensen begleiten ca. acht Mitarbeitenden auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt. In der Regel dauert ein Einsatz drei Monate. «Das Projekt ist sehr niederschwellig», erklärt Lukas Leutenegger, Präsident des Trägervereins, «das ist unser Markenzeichen. Interessierte können recht unkompliziert einsteigen und ausprobieren, wie sie mit den Herausforderungen zurechtkommen.»

Anerkennung und Motivation
Das Bistro, das im Sommer 2015 seine Pforten öffnete, konnte durch den Einbau einer Gastroküche im Frühjahr 2018 seiner Bestimmung noch besser nachkommen. «Das Essen hat ein gutes Niveau. Das wissen viele Stammgäste zu schätzen», so Leutenegger. Von den Mitarbeitenden hätten einige den Sprung in eine feste Anstellung geschafft, andere hätten eine Anschlusslösung gefunden oder seien noch länger geblieben.

Die Verleihung des Prix Diakonie ist für Lukas Leutenegger eine ermutigende Anerkennung und eine Motivation, das Projekt noch weiterzuentwickeln. Das Projekt wird finanziell zu einem grossen Teil von der katholischen Kirchgemeinde «FrauenfeldPLUS» getragen.

Prix Diakonie Nr. 3
Das Café Grüezi in Sirnach ist der Dritte im Bunde der Diakonie-Preisträger. Das Projekt, das im März 2018 von der evangelischen und der katholischen Kirchgemeinde ins Leben gerufen wurde, startete mit der Idee, Zugewanderte und Schweizer zusammenzubringen, um sich gegenseitig kennenzulernen. Es sollte auch für Einheimische offen sein, die einfach Kontakt suchen. Seitdem hat es unterschiedliche Phasen erlebt. «Heute besuchen neben den Einheimischen vor allem Kinder von Zugewanderten das Café Grüezi», erzählt Stefan Wälti, diakonischer Mitarbeiter des Pastoralraumes Hinterthurgau. Aus diesem Grund habe man Jugendliche für die Kinderbetreuung engagiert. Damit wird das Café zum Begegnungsort ganz unterschiedlicher Generationen. «Es ist super, dieses Zusammenspiel von Jung und Alt mitzuerleben», freut sich Wälti.

Neue Ideen
Ebenso freut er sich mit den übrigen Verantwortlichen über den Prix Diakonie. Die Auszeichnung trage dazu bei, das Projekt noch bekannter zu machen. Was mit dem Preisgeld geschehe, sei noch offen. Es gäbe aber die Idee, neben den offenen Treffen auch Veranstaltungen handwerklicher Art, mit einem Referat oder einer Filmvorführung anzubieten.


Weitere Informationen: www.150himmel.ch


(Sarah Stutte/Detlef Kissner, 24. Januar 2020)

Unsere Empfehlungen

Tafelsilber nicht veräussern

Tafelsilber nicht veräussern

Er ist das «rechtliche Gewissen» des evangelischen Kirchenrats im Thurgau – gerade auch in Fragen rund um die Gebäudeinfrastruktur: Hanspeter Heeb ist es wichtig, dem Kirchengut Sorge zu tragen.
Für ein Stück mehr Lebensqualität

Für ein Stück mehr Lebensqualität

Gut ein Jahr nach dem Beginn des Krieges ist in der Ukraine kein Ende des Konflikts in Sicht. Speziell in der Anfangszeit sprangen viele evangelische Kirchgemeinden in die Bresche, um geflüchteten ukrainischen Familien zu helfen. Nachdem Kanton und Gemeinden mittlerweile viele Angebote aufgegleist ...
Ein Sammler von 150 Glocken

Ein Sammler von 150 Glocken

Glocken hängen im Thurgau nicht nur in Kirchtürmen. Glocken kann man auch sammeln, was Heinz Auer aus Bichelsee fast sein Leben lang getan hat.
Als die grossen Glocken Einzug hielten

Als die grossen Glocken Einzug hielten

Im nächsten Jahr wird das grösste Geläut einer evangelischen Kirche im Kanton Thurgau 100 Jahre alt. Im Jahr 1924 wurden sechs der heute sieben Glocken in einer Prozession zur Bergli-Kirche in Arbon gebracht und aufgezogen.