News aus dem Thurgau

«Das Fremde am Evangelium müssen wir aushalten»

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23.11.2017
Der reformierte Pfarrer Thomas Muggli-Stokholm gewinnt als erster Schweizer nach Kurt Marti den in Deutschland verliehenen Ökumenischen Predigtpreis. Im Interview erklärt er, was es zum guten Prediger braucht und warum die perfekte Predigt nicht immer die beste ist.

Herr Muggli-Stokholm, Sie wurden kürzlich mit dem Ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet. Wie fühlte sich das an?
Ziemlich verrückt (lacht). Es war die totale Überraschung für mich. Ich habe ja auch erst zum zweiten Mal am Wettbewerb teilgenommen.

Sie haben mit einer Predigt zu Karfreitag gewonnen. Was ist das Besondere daran?
Speziell daran ist die Briefform. In meiner Predigt ging es mir darum, die Persönlichkeit des Judas zu zeigen. War er wirklich der Inbegriff des Bösen? Oder spiegelt sich in ihm nicht vielmehr das Menschlich-Allzumenschliche, das wir von uns selbst kennen? Die Briefform erlaubte mir, Judas direkt als Bruder anzusprechen.

Sie predigen seit rund dreissig Jahren. Was macht eine gute Predigt aus?
Eine gute Predigt erschliesst einen anderen Blick, eine neue Sichtweise. Ich merke das, wenn ich beim Lesen einer Bibelstelle auf das kreative Potential des Textes selbst stosse und dieser zu mir zu reden beginnt. Das Schreiben entwickelt dann eine Eigendynamik, die sich vom blossen Interpretieren einer Textstelle unterscheidet. Im Idealfall interpretiere nicht ich den Text, sondern der Text interpretiert mich. Dadurch erschliesst er mir eine neue Sichtweise auf die Gemeinde und mich. Wichtig ist mir auch, dass meine Predigt mit dem heutigen Leben zu tun hat und die Gemeinde anspricht. Als Prediger versuche ich, nicht über die Menschen hinweg zu theologisieren, sondern geerdet zu bleiben.

Wie lange arbeiten Sie an einer Predigt?
Die Vorbereitung und Durchführung eines Gottesdienstes nimmt bei mir ungefähr einen Tag in Anspruch. Das Schreiben der Predigt bildet dabei den Schwerpunkt und schliesst eine sorgfältige Textanalyse der Bibelstelle ein. Oft schreibe ich die Stelle mehrmals ab, damit sie in Fleisch und Blut übergeht. Diesen Text trage ich dann ein paar Tage mit mir herum.

Die Kirche wird oft für ihre abgehobene Sprache kritisiert. Wie soll der Pfarrer zu den Menschen sprechen?
Wichtig ist, dass seine Sprache für einen durchschnittlich gebildeten Menschen verständlich ist. Allerdings: Die Themen der Bibel bleiben wohl immer ein Stück weit fremd. Als Pfarrer ist man da in einem Clinch: Man will einen zeitgemässen Gottesdienst, hat aber mit einer Botschaft zu tun, die sich gegen das allzu leicht Bekömmliche sträubt. Dass ein Mensch, der als Verbrecher gekreuzigt wurde, der Gottessohn und Erlöser sein soll, lässt sich eben nicht als Erfolgsstory verkaufen. Das Fremde an dieser Botschaft soll man auch gar nicht beseitigen, sondern aushalten.

Was gilt es neben einer verständlichen Sprache sonst noch zu beachten?
Als Pfarrer versuche ich, authentisch zu sein. Was ich predige, sollte übereinstimmen mit dem, was ich persönlich denke und fühle.

Hatten Sie als Pfarrer auch schon das Gefühl, ihre Gemeinde zu langweilen?
Ja, diese Momente gab es auch. Es können leider nicht alle Predigten gleich gut gelingen. Übrigens sind die langweiligen Predigten oft die, an denen ich am längsten gefeilt habe. Da waren am Ende alle Ecken und Kanten abgeschliffen.

Heimito Nollé, ref.ch, 14. November 2017

Zur Predigt von Thomas Muggli-Stokholm

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