News aus dem Thurgau

Gotteskrieger – eine wahre Geschichte aus der Reformationszeit

min
11.08.2017
Religion, Radikalisierung und Fanatismus – aktueller könnte der Comic «Gotteskrieger» nicht sein. Das Abenteuer zur Zeit der Reformation basiert auf der wahren Geschichte des Schreiners Heinrich Gresbeck. Dieser gerät in Münster, wo radikale Täufer eine Gesinnungsdiktatur einführten, zwischen die Fronten.

Seit jeher sind es junge, idealistische und sinnsuchende Männer, die sich für religiöse Schwärmer begeistern lassen. Der Kampf um das Täuferreich in Münster in den 1530er-Jahren zeigt auf, wie eine ursprünglich friedliche Bewegung in Terror umschlagen kann. Die «graphic novel» erinnert auf eindrückliche Weise daran, dass auch heute noch irrgeleitete Fanatiker ihre Glaubenskriege im Namen Gottes führen. «Gotteskrieger» ist ein Lesegenuss und regt zum Nachdenken an.

Das Schlüsselerlebnis ist für Heinrich Gresbeck im Winter 1534 die Begegnung mit einem zum Tode verurteilten Wiedertäufer. Dieser trägt ihm, bevor er weggeschafft wird, zu, dass er in der Stadt Münster die wahre Gemeinschaft Gottes finden werde. Gresbeck lässt sich begeistern. Da seine Mutter in Münster lebt, schliesst er sich der dortigen Täufergemeinschaft an, lässt sich taufen und heiratet.

Täufer schaffen das Geld ab
Was wie ein Abenteuer beginnt, entpuppt sich für den jungen Mann bald als Albtraum. Während Truppen des katholischen Fürstbischofs die Stadt belagern, beginnt der radikale Umbau der Stadt.

Die Täufer lehnen Privateigentum ab, das Geld wird abgeschafft, Haustüren müssen unverschlossen bleiben. Schuldscheine landen ebenso im Feuer wie Kartenspiele, Instrumente und alle Bücher – mit Ausnahme der Bibel. Wer sich nicht unterwirft, muss gehen oder wird hingerichtet.

Im blinden Vertrauen auf den Schutz Gottes verlässt der Niederländer Jan Mathijs, einer der Anführer der Wiedertäufer, an Ostern 1534 mit einigen Begleitern die sicheren Mauern der Stadt, um die Belagerer zu vertreiben und Jesus Christus zu empfangen. Mathijs kommt nicht weit, die Belagerer kennen keine Gnade mit dem Ketzer.

Hunger und Prunksucht im «Neuen Jerusalem»
Jetzt steigt in Münster der Apostel Jan van Leiden aus Amsterdam zum Führer auf. Er propagiert das «Neue Jerusalem» und nennt sich König eines tausendjährigen Reiches. Anstatt ein neues Datum für das Jüngste Gericht zu nennen, erklärt er Münster zum Ausgangspunkt der Rettung der Welt. Um dies zu erreichen, müssten die Bewohner der Stadt besonders tugendhaft sein. Als selbsternannter Prophet entscheidet er über Tod und Leben und leistet sich einen Lebenswandel in Saus und Braus – während die Bürger der Stadt darben.

Langsam wachsen bei Gresbeck die Zweifel, das Richtige zu tun. Seine Bedenken bringen ihn in Gefahr. Unter der Belagerung leidet Gresbeck mit rund 7000 Männern, Frauen und Kindern Hunger. Die Bürger essen ihre Pferde, Hunde und Katzen. Doch die Täufer lehnen jede Übergabe der Stadt ab, da sie wissen, dass sie vor den Toren der Stadt keine Gnade erwarten können. Gleichzeitig verstärken die Täufer-Führer um van Leiden den Terror gegen die eigenen Leute.

Vielweiberei gegen Frauenüberschuss
Als Folge des gegenseitigen Abschlachtens herrscht bald ein Männer-Mangel. In der Stadt leben nun dreimal so viele Frauen wie Männer. Deshalb führt Jan van Leiden die Vielehe ein. So sollen die verbleibenden Männer in der Stadt gerecht auf die Frauen verteilt werden. Dies im Widerspruch zur strengen Sittenwacht, welche die Täufer lebten.

Nachdem seine Mutter stirbt und ihm seine Frau gesteht, schwanger zu sein, gibt es für Gresbeck kein Halten mehr. Er beschliesst aus der Stadt auszubrechen und Hilfe für die Menschen in Münster zu holen. Wird es ihm gelingen oder wird er einen hohen Preis für den Verrat bezahlen?

Münster hätte auch anderswo sein können
Der Kölner Journalist und Historiker Alexander Hogh ist ein Spezialist für historische Stoffe. Die Geschichte des Täuferreichs hat ihn schon lange interessiert. «Gotteskrieger» basiert auf dem Bericht von Heinrich Gresbeck, den dieser über seine Erlebnisse in der belagerten Stadt Münster niedergeschrieben hatte. Was in Münster geschah, hätte laut Alexander Hogh auch in einer anderen Stadt passieren können. Zusammen mit dem Illustrator Lukas Kummer aus Kassel hat er «Gotteskrieger» geschaffen. «Mich hat die Frage interessiert, warum sich Gruppen, die eigentlich den gleichen Glauben haben, bis auf den Tod bekämpfen können. So etwas gab und gibt es auch bei anderen christlichen Gruppen und anderen monotheistischen Religionen.»

Wie setzt man einen historischen Stoff in Comicform um? Bei der Darstellung der Charaktere hat sich Lukas Kummer an heutige Demagogen und Politiker gehalten. «Es wird damals nicht viel anders zugegangen sein als heute», so der Illustrator.

Über die Wiedertäufer
Die Wiedertäufer waren der Obrigkeit – ob protestantisch oder altgläubig – ein Dorn im Auge. Ihre Bezeichnung rührt daher, dass aus ihrer Sicht erst Erwachsene das Sakrament der Taufe empfangen können. Da sie Gewalt ablehnten, den Gehorsam gegenüber den Fürsten verweigerten und die Kindstaufe ablehnten, rüttelten sie an den Grundfesten des Staates und wurden nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland verfolgt. Die Bischöfe, die Reichsfürsten und selbst der Kaiser verboten das Täufertum unter Androhung der Todesstrafe. Grund: Sie sahen ihre Macht über die Seelen der Gläubigen in Gefahr.

Münster, der westfälische Bischofssitz mit seinen rund 10'000 Einwohnern, war seit der Reformation der Nährboden für reformatorisches Gedankengut, das selbst Martin Luther nicht mehr behagte.

Ende Juni 1535 endet die Belagerung Münsters mit der Eroberung der Stadt. Dabei kommen Hunderte Menschen ums Leben. Jan van Leiden wird festgenommen und gefoltert, rückt aber von seinem Glauben ab. Sieben Monate später wird er mit zwei weiteren verbliebenen Oberhäuptern der Täufer zu Tode gefoltert.

Ihre Leichen wurden danach in eisernen Körben am Turm der Münsteraner Lambertikirche aufgehängt und zur Schau gestellt. Dort sind die Körbe – ohne die Überreste der Täufer – noch heute zu sehen.

Philippe Welti, Kirchenbote, 11. August 2017

«Gotteskrieger – Eine wahre Geschichte aus der Zeit der Reformation», Alexander Hogh (Autor), Lukas Kummer (Illustrationen), 160 Seiten, 20 EUR, ab 12 Jahren

Unsere Empfehlungen

Wie das Christentum zu den Ostereiern kam (1)

Wie das Christentum zu den Ostereiern kam (1)

Ostern ist der höchste Feiertag für die Christenheit. An diesem Tag feiern die Gläubigen die Auferstehung des Herrn. Doch wer in diesen Tagen die Läden betritt, stellt rasch fest: Der eigentliche Star heisst Meister Lampe. Wie kommt das Christentum zu den Eiern und den Hasen?
Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

Kunstwerke als Botschafter eines bedrängten Landes

Die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Auch die Kunst des Landes leistet ihren Beitrag dazu. Das Kunstmuseum Basel präsentiert derzeit in der Ausstellung «Born in Ukraine» eine Auswahl bedeutender Werke aus der Kyjiwer Gemäldegalerie, dem nationalen ukrainischen Kunstmuseum.
Durch den Boden unserer Welt

Durch den Boden unserer Welt

Niklaus Peter, ehemaliger Pfarrer am Fraumünster Zürich, Autor und Kolumnist, erklärt, warum die Bibel die Menschen fasziniert, tröstet, herausfordert und anspricht.
Die Erfindung des Weihnachtsfestes

Die Erfindung des Weihnachtsfestes

Wenn die Tage am dunkelsten sind, feiern wir Weihnachten. Dies scheint kein Zufall. Das Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen belegt dies in seiner neusten Ausstellung. Es rückt dabei die Bedeutungsgeschichte der Wintersonnenwende ins Zentrum.