Ein weltlicher Diener am Wort
Richi Küttel besuchte den katholischen Kindergarten in Berneck – seine Schwester noch bei einer verschleierten Nonne, «einer wunderschönen Frau», erinnert er sich. 1980 kam die Schulverschmelzung und plötzlich waren da in der ersten Klasse Kinder, die er noch nie gesehen hatte. «Die sind halt Evangelische», erklärte die Mutter, was der junge Richi erst im Laufe der späteren Jahre einordnen konnte. Denn für den Metzgerssohn waren die Konfessionsgrenzen in Berneck weiterhin erlebbar. Es gab katholische und evangelische Metzgereien im Dorf.
Berufswunsch: Priester
Die Kirche war allgegenwärtig in Richis Leben. Der Pfarrer kam vorbei, wenn er wegen einem Beinbruch den Religionsunterricht nicht besuchen konnte. Am Sonntag gings zur Messe,
oft auch am Samstag. Die Mutter hatte in den 60er-Jahren in Amerika bei Jesuitenpriestern gekocht. Wenn einer von denen auf Besuch kam, gab es eine Hausmesse in der Stube und Richi ministrierte. Auch war es damals klar für ihn, dass er später Priester werden wollte.
Andächtig hat Richi im Religionunterricht den Katechismus «nachgeplappert». Bei der Beichte habe er oft etwas übertrieben mit seinen Sünden – denn er wusste nicht, was er beichten könnte. Danach habe er sich erleichtert empfunden, so wie er bei der Firmung den Heiligen Geist gespürt habe: «Ob das einfach mein Wunsch war oder Einbildung – nichts zu spüren wäre furchtbar gewesen. Ich hätte denken müssen, dass Gott es nicht gut mit mir meint.»
«Als der Poetry-Slam aufkam, war klar, dass in diesem Umfeld mit dem gesprochenen Wort etwas Wichtiges geschieht.»
In der Oberstufe drückte dann der kritische Geist durch: Auflehnung gegen die strenge Dogmatik, Rebellion gegen die Sündentheorien.
Erleuchtungsmomente beim Lesen
Eine neue Welt tat sich für Richi auf, als ihn seine grössere Schwester erstmals in die Gemeindebibliothek mitnahm. Jede Woche sei er dort gewesen und habe sich richtiggehend durchgelesen: «Je dicker das Buch war, desto besser.» Hier habe er sich allgemein gebildet und gelernt, Zusammenhänge zu verstehen. Er wollte wissen, wer die Heiligen und die Märtyrer in der Bernecker Kirche sind – «und diese Heiligenleben haben immer auch ein Stück Glauben transportiert». Richi Küttel las alle Arten von Büchern, auch in der Bibel oder über unerklärte Geheimnisse, über das, was die normalen Gesetze der sichtbaren Welt übersteigt.
Der Weg zum Kulturvermittler
Studieren war in der Arbeiterfamilie kein Thema. Richi absolvierte eine KV-Lehre bei der Sparkasse Berneck und bildete sich weiter zum Organisator. Ein Kollege in der Lehre brachte ihn zum Schreiben und mit diesem entstand vor 20 Jahren eine Zeitschrift für junge Literatur. Als kurz darauf der Poetry-Slam aufkam, war klar, dass in diesem Umfeld mit dem gesprochenen Wort etwas Wichtiges geschieht. Richi Küttel kündete den sichern Job bei der Bank und folgt seither seinem Herzen, um als freier Kulturvermittler dem geschriebenen und gesprochenen Wort zu dienen.
Ein Leben für das Wort
Der Vater von zwei Kindern lebt heute in St.Gallen. In Trogen AR liegt der Sitz seiner Kulturvermittlungsfirma Wirkpunkt GmbH, die der jungen Literatur und Wortkunst Wege zu den Menschen eröffnet. «So wie Wirtschaft ein kulturelles Bewusstsein benötigt, braucht Kultur auch ein wirtschaftliches Denken. Wirkpunkt stellt die Verbindung zwischen beidem her …», heisst es auf der Firmenwebsite. Zusätzlich ist Richi Küttel für die Kantone SG und AR als Kulturvermittler tätig (www.kklick.ch) – und nach wie vor tritt er auf als Spoken Word Poet, Texter, Moderator oder Protokollant (www.richikuettel.ch).
Sehen Sie das gesamte Gespräch, das Andreas Schwendener mit Richi Küttel führte, hier.
Text und Foto: Andreas Schwendener – Kirchenbote SG, Juni-Juli 2017
Ein weltlicher Diener am Wort