50 Jahre Ökumenische Jury am Filmfestival Locarno
«Der Ökumenische Preis wurde 1973 am Filmfestival in Locarno geboren», sagt Charles Martig, Direktor des katholischen Medienzentrums und Festival-Delegierter von SIGNIS Schweiz. Damals gab es im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils eine starke ökumenische Bewegung, welche die Kirchen prägte. Auch die kirchliche Medien- und Filmarbeit.
Kirchliche Jurys gab es schon seit den 50er Jahren an den Festivals von Cannes, Berlin und Venedig. Diese waren jedoch konfessionell getrennt. Locarno brachte den Durchbruch, Katholiken und Reformierte schlossen sich zusammen. Seither zeichnet die Fachjury jedes Jahr einen Film aus. Der Preis ist mit 10’000 Franken dotiert. Den Beitrag stellen die Evangelisch-reformierten Kirchen Schweiz und die Katholische Kirche der Schweiz zur Verfügung. Bis heute werden die Preise gemeinsam von SIGNIS und INTERFILM vergeben.
Von der Kanzel zur Leinwand
Der Film hat für die Kirchen seit den dreissiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine grosse Bedeutung. Vor allem für die katholische Kirche, deren Heiligenverehrung von der Macht der Bilder weiss. Die Protestanten tun sich zunächst schwer mit dem neuen Medium. Wie im Film «Cinema Paradiso» nutzten die Geistlichen das Kino schon früh als «Lernfeld in der Erwachsenenbildung». «Verständlich», meint Charles Martig, «denn Kirche und Film haben einen besonderen Blick auf die Welt und setzen sich mit den sozialen und religiösen Spuren in der Gesellschaft auseinander. Deshalb haben die Kirchen ein Interesse daran, dass gute Filme bei den Festivals entdeckt und ausgezeichnet werden.»
Aber nach welchen Kriterien entscheiden die Jurorinnen und Juroren? «Die Jury-Mitglieder vergeben den Preis an Regisseurinnen und Regisseure, die mit ihrem künstlerischen Talent das Publikum für religiöse, menschliche und soziale Werte sensibilisieren», so Martig. «Die Jury zeichnet kreative Filmemacherinnen und Filmemacher aus, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und Respekt einsetzen und in deren Werk eine spirituelle Dimension spürbar ist.»
Weniger Sandalenfilme, mehr Spiritualität
Vor siebzig Jahren gab es religiöse Sandalenfilme, zur Geschichte Jesu, wie «Ben Hur», «Das Gewand» oder der «König der Könige». Später wurde Jesus auf der Leinwand revolutionärer, wie etwa in Pasolinis «Das 1. Evangelium – Matthäus», «Jesus Christus Superstar» oder «Die letzte Versuchung Christi». Charles Martig ist überzeugt, dass sich auch heute Regisseurinnen und Regisseure für spirituelle und religiöse Stoffe interessieren. Er spricht sogar von einer Rückkehr dieser Elemente. Früher habe das Historische im Vordergrund gestanden. Heute gehe es um Aktualisierung: Die Filmemacher greifen Glaubensthemen aus heutiger Sicht auf, entweder mit Fragmenten aus der jüdisch-christlichen Tradition oder mit biblischen Motiven in neuem Gewand. Religiöse Filme aus dem Mittelmeerraum oder Südamerika setzten sich explizit mit dem Thema auseinander. In den nördlichen Ländern Europas sei der Umgang mit religiösen Traditionen eher implizit. Das sei nicht weniger spannend, meint Charles Martig, aber man müsse mit einem religiösen Blick ins Kino gehen. «Sonst kann man das nicht erkennen und schätzen.»
Eklat bei der Preisvergabe
Unter den prämierten Filmen der letzten 50 Jahre finden sich auch Schweizer Produktionen wie «Les petites fugues» von Regisseur Yves Yersin oder «Höhenfeuer» von Fredi M. Murer. Bei Murers Auszeichnung kam es 1985 zum Eklat. Der Regisseur lehnte den Preis der Ökumenischen Jury ab. Er wolle nicht, «dass ihm die Berufs-Christen ein Kruzifix ans Revers heften, um fortschrittlich zu erscheinen».
Das sei aber die Ausnahme, so Martig. Die Regisseure, die den Preis der Ökumenischen Jury erhalten, nehmen ihn durchaus ernst. Für sie sei es eine Wertschätzung ihrer Arbeit.
Ehrenpreis für Istvan Szabo
Oscar-Preisträger István Szabó (85) ist dieses Jahr in Locarno zu Gast. Er kehrt mit seinem jüngsten Film «Final Report» auf die Piazza Grande zurück. Am 8. August wird er mit dem Ehrenpreis der Ökumenischen Jury des Filmfestivals ausgezeichnet. Für Martig ist István Szabó einer der wichtigsten Regisseure des osteuropäischen Kinos. Der internationale Durchbruch gelang dem Regisseur 1981 mit «Mephisto», dämonisch verkörpert von Klaus Maria Brandauer. Der Film brachte Szabó den Oscar ein. Die Ökumenische Jury hatte den ungarischen Regisseur bereits 1974 am Filmfestival Locarno entdeckt, als sie István Szabó für seinen Film «Feuerwehrgasse 25» auszeichnete.
50 Jahre Ökumenische Jury am Filmfestival Locarno